Einmal Shanghai und zurück
Montag, 7. April 2014
Die Welt am Sonntag in Shanghai
Da an diesem Wochenende in China Gräbertag war, habe ich einen Tag länger Zeit, mich auf meiner Couch voll und ganz der Arbeit zu widmen, denn auf meinem Schreibtisch türmen sich wie gewohnt die Klassenarbeiten, nun ergänzt durch die wenig aussagekräftigen, aber korrekturaufwendigen Kompetenztests des Landes Thüringen. Eine Ausnahme sollte der Zoobesuch am gestrigen Tag darstellen, allerdings wurde der Plan wenig überraschend vereitelt:

Schlangen vor dem Ticketschalter des Shanghaier Zoos
Eine blöde Idee, an einem Feiertagswochenende einen Ausflug zu planen

Zur Bedeutung des Gräbertages für die Menschen hier und zur Erklärung dessen, dass die meisten Chinesen anscheinend doch nicht ihre Zeit auf dem Friedhof verbringen, sondern lieber im (oder besser vorm) Shanghaier Zoo, habe ich im Internet sehr wenig gefunden. Allgemein ist es wohl Tradition, an diesem Tag die Gräber der Ahnen zu besuchen, ihnen verschiedene Speisen darzubringen und dabei ihrer zu gedenken. Was sich so schön anhört, ist in der Realität allerdings schwer umsetzbar: Erstens werden in China mittlerweile die meisten Verstorbenen eingeäschert und ihre Überreste über dem Meer verstreut, zweitens wohnen seit der Verstädterung hier viele nicht mehr in der Nähe ihres Geburtsortes und müssen sehr große Anstrengungen auf sich nehmen, um ihre Familien zu besuchen. Sicher erklärt das auch, weshalb Lena und ich zu Plan B greifen und einige Runden im idyllischen, weil unbekannten Xinhongqiao-Park drehen mussten.

Der Xinhongqiao Central Park, ganz ohne exotische Tiere
Eine gute Idee, einen Nachbarschaftspark aufzusuchen, da so viele in den Zoo gehen

Natürlich kann man den Menschen hier nun wirklich nicht vorwerfen, ihre Familienpflichten zu vernachlässigen. So scheinen einige Chinesen sogar Professionelle anzuheuern, die an ihrer Stelle die Grabstätten der Vorfahren aufsuchen und dort für sie trauern, damit neue Arbeitsplätze zu schaffen und aus der Not eine Tugend zu machen - wohl ein klassischer Fall von "andere Länder, andere Sitten". Bis zum nächsten Mal! Zàijiàn!

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Sonntag, 9. März 2014
Komische Listen in der Fortsetzung
Und da es unfair ist, die Expats zu verunglimpfen und nicht auch die lieben Shanghaier einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, werde ich mich in diesem Eintrag einer Fortsetzung der bei euch anscheinend nicht so unbeliebten Listen widmen. Vorhang auf für eure interkulturellen Forschungen!

Der Komödie erster Teil

Als Gast dieses Landes, der sich sehr herzlich aufgenommen und mehr mit neugierigen als argwöhnischen Augen betrachtet fühlt, ist mir auch der kritische Blick auf meine Umgebung nicht ganz fremd. Leider halten nicht alle (An-)Gewohnheiten der hier Ansässigen diesem immer Stand, und ich habe entschieden, es für mich abzulehnen,
- mir meine Fingernägel mit einem Nagelknipser in der U-Bahn zu schneiden (wirklich nur manche),
- laut zu rülpsen, wenn ich an anderen, mir unbekannten Personen vorbeigehe (einige Frauen),
- mir den Schleim geräuschvoll den Hals hinauf- und dann genüsslich gen Boden zu würgen (viele Männer, die eine oder andere ältere Frau),
- meinen Regenschirm sämtlichen Passanten in den Hals, an den Kopf oder die Jacke zu rammen, ohne es zu merken (eher wenige),
- mit dem Motorroller auf dem Bürgersteig zu fahren, obwohl zwei Fußgänger schon kaum aneinander vorbeikommen, und so Unfälle mit Regenschirmen noch zu begünstigen,
- mein Gepäck in zehn Plastiktüten statt einem Koffer zu verstauen, wenn ich verreise (kommt vor),

Auf dem Weg nach Hongkong - so steht in Europa keiner am Flughafenschalter an
Datenschutz und Privatsphäre - wie das Urheberrecht unbekannte Konzepte

- zu versuchen, mich in eine übervolle U-Bahn zu drängeln, ohne die Wartenden erst aussteigen zu lassen (gängige Praxis, aber das wisst ihr ja schon),
- in der Öffentlichkeit mit voller Kraft in mein Telefon zu brüllen, wenn man mich auch bei normaler Lautstärke gut versteht (fast alle),
- den Winter ganz ohne Heizung und nur in Winterjacke zu verbringen, auch wenn dies sehr umweltfreundlich sein sollte (ebd.),
- Probleme nur indirekt anzusprechen, ohne dass das Gegenüber weiß, wovon die Rede ist (schwer zu sagen),
- ausschließlich, wenn ich gerade keine Serie darauf ansehe, auf einem Tablet-PC oder Handy zu lesen, überhaupt nur noch den Blick von meinem Bildschirm zu lösen, um mich mit Nahrung zu versorgen, denn das kann einfach nicht gesund sein (neulich stieß ich beim Einsteigen in die U-Bahn mit meinem Buch zuerst gegen eine Eisenstange und anschließend, als ich einen Schritt zurücktrat, sehr unsanft gegen eine andere Passagierin, die im zweiten Teil noch Erwähnung finden wird).

Der Komödie zweiter Teil

Gerne dagegen möchte ich in Zukunft auch
- immer gut gelaunt sein, selbst wenn der Smog mir die Sicht verschleiern sollte,
- mir nie zu viele Gedanken über solche Dinge machen und sie vor allem nicht stundenlang im Internet recherchieren,
- es schätzen können, wie gut es mir geht, und mich nicht immer über alles beschweren, auch wenn dies die Gesprächsthemen mit deutschen Kollegen deutlich einschränken sollte,
- disziplinierter und nicht so furchtbar bequem sein, wenn ich mir vorgenommen habe, etwas zu erreichen, z.B. eine Sprache wie das Französische zu erlernen,
- so schnell leckere Gerichte auf den Tisch zaubern können,
- nicht so spießig sein, ernsthaft zu überlegen, ein Beweisfoto von den Vibratoren an der Supermarktkasse zu machen,
- die Menschen von Zeit zu Zeit mit einem so naiv echten, strahlenden Lächeln beglücken, auch wenn sie mir gerade auf den Fuß gestapft sind,
- mein Leben als erfüllt betrachten und es jeden Tag genießen.

Mein Lieblingscafé um die Ecke, in dem mir in der einen Woche ein Kaffee zu viel berechnet, zwei Wochen später dann aber einer geschenkt wurde - wie rührend
Aus meinem Lieblingscafé um die Ecke

Mit diesen himmlischen Gedanken findet diese Komödie ihren Schluss, und mir bleibt nur zu hoffen, dass auch ihr euch so angenehm durch die nächste Woche träumt. Vorhang zu!

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Samstag, 1. März 2014
Man nennt es auch Versuch und Irrtum
Da ihr mich letzte Woche so großzügig mit Kommentaren bedacht habt, hatte ich eigentlich einen ganz anderen, selbstverständlich in Listen verfassten Eintrag für diese Woche im Sinn, unter den gegebenen Umständen muss ich euch allerdings ganz egoistisch einfach mein Leid klagen. Denn wie die Handwerker an der DSS diese Woche etwa vier Stunden brauchten, um ein riesiges Schild mit der Aufschrift "Schulgelände" auf dem Schulgelände zu positionieren, wohl um unsere Chancen auf den Titel "Exzellente Deutsche Auslandsschule" um ein Vielfaches zu erhöhen, scheine ich bei meinen Bemühungen um eine sinnvolle Freizeitgestaltung immer wieder auf Granit zu beißen. Dass es um meinen Chinesischkurs geht, habt ihr vielleicht schon erraten. Das Fazit ebenfalls. Es folgen nun die exklusiven Ausführungen für die besonders ausdauernden Fans dieses Blogs.

Der Pearl Tower im Nebel
Mein Bild der Woche - mein Lieblingswolkenkratzer der Pearl Tower im Nebel

An meiner ersten Chinesischprobestunde nahm ich vor sechs Monaten teil. Ich hatte über einen Arbeitskollegen von Vincent gerade Jenny kennengelernt, die Besitzerin einer kleinen Sprachschule in meiner Nähe ist. Die geschätzten 17 Ausgänge am Bahnhof Xujiahui und verwirrende Beschreibung des Fußweges durch Hochhausschluchten ohne Straßennamen waren Schuld daran, dass ich mit 20 Minuten Verspätung schweißgebadet zum Unterricht erschien. Von der Lehrerin und der einzigen anderen Schülerin wurde ich nichtsdestotrotz herzlich empfangen. Wir übten fleißig, lernten uns kennen, indem wir, so weit auf Chinesisch möglich, unsere Lebensgeschichten miteinander teilten, und schafften es sogar, den einen oder anderen Witz einzubauen. Als ich nur wenig später erfuhr, dass die andere Teilnehmerin an fünf Tagen in der Woche den Kurs besuchte, überlegte ich kurz, wie ich es möglich machen könnte, trotz meines Vollzeitjobs auch täglich die Sprachschule zu frequentieren. Enttäuscht kam ich zu dem Schluss, dass selbst die hier gängigen Zwei-Mal-Pro-Woche-Besuche der Schule für mich nur sehr schwer realisierbar sind, wenngleich sie den chinesischen Mindestanforderungen an Sprachenlerner entsprechen. Ausprobiert habe ich es noch nicht, denn seitdem warte ich auf den Beginn eines anderen, ansatzweise passenden Kurses.

Etwas ungeduldiger als ich ist Lena, die sich mir irgendwann aus Mitleid sogar als private Lehrerin anbot. Da ich schon an der Effektivität unseres Tandems zweifelte, weil ihre Lehrmethode darin zu bestehen schien, mich komplizierte Sätze aufschreiben zu lassen und jedes einzelne Wort weitläufig zu erklären, ich aber noch immer keine Gespräche im Kiosk in meinem Haus zu führen vermochte, konnte ich ihren Vorschlag mit dem für mich immer noch wichtigen Argument, dass ich Gruppenunterricht bevorzugte, abwehren. Der Warterei müde empfahl sie nun nach einem halben Jahr die Schule eines Freundes, an der ich gestern zu einer Probestunde eingeladen war. Als ich entspannt um viertel nach sechs statt um halb sieben in der Sprachschule eintraf, wurde ich dort etwas verwirrt mit den Worten, ich sei ja viel zu früh, begrüßt. (Es scheint hier dahingegen niemandem etwas auszumachen, wenn man zu spät kommt.) Das Improvisationstalent Cathys, einer Lehrerin an der Schule, die anscheinend nicht mit mir gerechnet hatte, vor allem nicht zu dieser Uhrzeit, war zwar verbesserungswürdig, mit ihrer Art aber gewann sie schnell meine Sympathie, denn nach einem kurzen Test meiner Sprachfähigkeiten teilte sie mir mit, dass sie Lehrer liebe, da sie zwar schlecht bezahlt, aber in der Gesellschaft überaus respektiert seien, und ich keine Anfängerin mehr, sondern ein "Intermediate Student" sei - und das, obwohl ich nach den ersten drei gewechselten Sätzen ins Schwitzen geriet und auf mein alltägliches "äh, grrrh, oah" zurückgriff. (Dass deutsche Lehrer lange nicht so schlecht bezahlt sind wie chinesische, ihnen dafür aber weitaus weniger Respekt entgegengebracht wird, verschwieg ich ihr, schließlich gefiel ich mir in meiner neuen Rolle.) An ihrer Erklärung, weshalb der mir versprochene Gruppenunterricht dann doch nicht stattfinde, sollte sie allerdings noch arbeiten. Wie aus dem Nichts kam es, dass sie mir dann doch meinen potentiellen Lehrer vorstellte, der mich optisch mit seinem exzentrischen Anzug und der imitierten Ralph Lauren-Tasche zwar beeindruckte, im Gespräch von seinen Fähigkeiten als Lehrer aber nicht unbedingt überzeugte - nennt mich arrogant, aber Blickkontakt gehört irgendwie dazu. Auch das Neonlicht im vier Quadratmeter großen Zimmer und die anscheinend fehlenden Mitschüler waren nicht gerade vielversprechend. Am Ende schlug mir Cathy vor, freie Übungsstunden für mich zu organisieren, was nicht viel mehr heißt, als dass ich neue Tandempartner jetzt nicht mehr nur über das Internet, sondern auch über die Schule finden kann. Sehr nett von ihr.

Heute klingelte um zwei Uhr dann auch prompt mein Telefon, und mir wurde mitgeteilt, dass meine Tandempartnerin nun in der Schule auf mich warte. Anscheinend fehlt mir zum Chinesischlernen nicht nur der Kurs, sondern auch die nötige Spontanität. Vielleicht sollte ich in Zukunft ein wenig härtere Maßnahmen ergreifen und wie die Handwerker einfach den Eisenfuß des Schildes auf der einen Seite ein Stück absägen. Hätte ich das richtige Werkzeug dazu, glaubt mir, ich täte es. Wie auch immer, diese Woche meldete sich wieder einmal Jenny mit der Nachricht bei mir, dass in zwei Wochen ein neuer Gruppenkurs beginnen werde. Drückt mir also die Daumen, dass ich es in naher Zukunft vielleicht doch noch schaffe, einen Ausgleich für die überambitionierte Schularbeit zu finden! Euch wünsche ich einen exzellenten Start in die nächste Woche!

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Samstag, 22. Februar 2014
Verrückt, ...
... dass ich in dieser Woche den ersten Irren in der U-Bahn traf. Er aß Nüsse aus einer Plastiktüte, die er von Zeit zu Zeit nervös zusammenknüllte, die Hälfte des Inhalts in der Bahn verstreuend, dabei aufgewühlt vom einen ins andere Abteil pesend, sich zwischen die sich schließenden U-Bahn-Türen werfend und bei geschlossenem Zustand geräuschvoll dagegen tretend, schließlich das Verpackungsmaterial auf dem Boden entsorgend. Mich, die, ein Buch lesend, neben der Tür stand, nahm er glücklicherweise als letzte verbleibende menschliche Zielscheibe nicht wahr.

... wie erfolgreich dieses Land alle Behinderten und Geisteskranken wegzusperren scheint, und es mir erst jetzt absonderlich vorkommt, dass die vielen Shanghaier alle so "normal" sind.

Aufzug im Luxuseinkaufszentrum bei der Yili Lu

... dass es so schwer für mich ist, die wahren Motive der Menschen hier zu durchschauen. So musste ich zum Beispiel am Freitag schweren Herzens Jane, eine meiner wenigen chinesischen Freundinnen, verabschieden, weil sie ein Jobangebot aus Singapur hat, ohne herausgefunden zu haben, warum sie dort hingeht und dafür sogar ihre liebenswerte Familie vorerst hier zurücklässt.

... dass ich langsam aber sicher immer mehr zum typischen Expat mutiere. Diese Aspekte unterscheiden mich noch von den vielen Ausländern hier:
- mein Einkommen, denn im Vergleich mit manch anderen Gehältern bin ich hoffnungslos unterbezahlt,
- die Restaurants und Cafés, in die ich gehe, denn ich vermeide die ach so beliebten Franchise-Unternehmen, deren Namen mir zum größten Teil nicht einmal einfallen,
- die Transportmittel, die ich nutze, denn ich habe weder meinen eigenen Chauffeur, noch dient mir seit meinem Ausschluss aus der Fahrgemeinschaft das Taxi für meinen Schulweg,
- meine Bemühungen, Chinesisch zu lernen, auch wenn ich keine richtigen Fortschritte mache,
- mein Desinteresse an Apple-Geräten aus Hongkong, überteuerten Fitnessstudios sowie Pediküre und Maniküre, obwohl ich sie besonders nötig hätte,
- mein fortbestehendes Interesse an Büchern, auch wenn dies zu einer Rückgratverkrümmung führen wird,
- meine Zwangsneurose, was Recycling von Abfall betrifft,
- mein Glaube an die Gleichberechtigung von Mann und Frau, obgleich dies bedeutet, dass auch Frauen arbeiten müssen und die Stellen von CEOs innehaben können,
- das Bedürfnis, mich von den Expats abzugrenzen, ohne wirklich anders zu sein.

... dass mich dies (oder gerade das) alles den Chinesen nicht viel näher bringt.

... dass ich jetzt wie der Protagonist aus dem Roman "Naiv. Super" Listen schreibe. Hoffentlich ist das kein Zeichen dafür, dass ich wie er eigentlich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens bin und wirklich zu viel grübele. --- Wahrscheinlich aber lese ich im Moment einfach zu viel, also macht euch keine Sorgen, sondern genießt ganz einfach naiv das super Wochenende! Bis sehr bald!

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Montag, 27. Januar 2014
Body & Soul oder Die Kraft des Glaubens an die chinesische Medizin
Der Euphorie der ersten Monate in Shanghai beraubt und um einen Winterschlaf unter einer wärmenden Klimaanlage bereichert, steht mir endlich der Sinn danach, euch meinen ersten Arztbesuch in China zu schildern. Etwas enttäuscht war ich zu erfahren, dass es der Heilung meiner Erkältungsbeschwerden keiner stärkeren Mittelchen bedürfe als ein paar Teebeutelchen,

Gleich ein Tee
Okay, sieben mal zehn Teebeutelchen

denn welchen Sinn hatte es dann gehabt, den für mich so elementar wichtigen Chinesischkurs ausfallen zu lassen und den weiten Weg von der Schule zur auf westliche Kunden mit Glauben an östliche Medizin ausgerichteten Praxis im Stadtzentrum auf mich zu nehmen, bei dem ich fünf U-Bahn-Stationen zu weit fuhr und mir doch ein Taxi nahm, um nur eine halbe Stunde zu spät in der Arztpraxis einzutreffen und eine zweiseitige Einverständniserklärung auszufüllen, in der ich dafür garantierte, jegliche Kosten sofort zu begleichen, auch jene, die durch Verspätungen entstehen (aber das nimmt hier ja glücklicherweise dann doch keiner so genau)? War ich zur Hypochonderin mutiert, die sich die für die Winterzeit typische Grippe als Relikt ihrer Herkunft nur herbeigesehnt hatte? Möglich, aber leider ist mit diesen philosophischen Fragen nun die Reihenfolge etwas durcheinander geraten und ich beginne noch einmal von vorne.

In der Arztpraxis angekommen, saß ich zunächst ganze zehn Minuten lang mit einem Tee auf einer an ein Aquarium angrenzenden Couch und fühlte mich abgesehen von dem Papierkram wohler (und wärmer) als in meinem eigenen Wohnzimmer. Ich ließ die Einfachheit Revue passieren, mit der ich diesen Arzttermin vereinbart hatte: Eine kurze Email auf Englisch am Morgen hatte genügt, um diesen gemütlichen Platz neben den womöglich glücklichsten Fischen Shanghais zu ergattern. Für mein Gefühl wurde ich dann leider etwas zu schnell bei einer deutschsprachigen Ärztin vorgelassen, die unermüdlich chinesische Zeichen auf Papier kritzelte und der ich wie nebenbei sämtliche andere angesammelte Leiden klagte, damit sich der Arztbesuch auch lohnte. Ungemein friedlich gestimmt war ich auch dann noch, als sie die im Gesundheitszeugnis vermerkten Gallensteine mit einem "Dann trinken Sie einfach nicht so viel Weißwein!" wenig einfühlsam abschmetterte. Erst als sie meinen im Vergleich zu den hier kursierenden Lungenentzündungen lächerlichen Virusbefall per Blutabnahme zu testen gedachte, war mir etwas ungemütlich zumute, und ich konnte den kleinen Pieks in den Zeigefinger, der weitaus weniger schlimm war als die in Deutschland übliche Armbeugenprozedur, weder mit herzerweichendem Gejammer noch mit aussagekräftigen Argumenten abwehren.

Es kam mir dann doch wirklich unverhältnismäßig vor, dass mir in der anschließenden Runde neben der deutschen noch eine chinesische Ärztin gegenüber saß, die, mir am Arm herumtastend, dieselben Fragen wie zuvor nun auf Chinesisch stellte, die Antworten jedoch nicht von mir, sondern von der Deutschen erhielt, die anscheinend gut aufgepasst hatte, alle Fragen richtig beantwortete und sogar um die Erkenntnis erweiterte, dass ich eine Grüblerin sei, man könne dies an meiner Zunge erkennen. Nicht an einem meiner Körperteile abzulesen waren wohl meine Zweifel an der etwas aufwendig gestalteten Untersuchungsmethode, deren Ergebnis euch bereits zu Beginn des Eintrages unterbreitet wurde. (Am Spannungsbogen muss ich wohl weiter arbeiten.) Die Rezeptur für meine Gesundung bzw. für eine einzige Tasse Tee, deren Zubereitung mehr Zeit in Anspruch nahm als der Verzehr des Gebräus, und dies glücklicherweise, denn die Einnahme war kein Geschmackserlebnis erster Klasse, konntet ihr auch bereits bewundern.

Der Natur meiner weniger schweren Erkrankung und dem Glauben an die Wirkung des Heiltees geschuldet ist wohl meine Genesung, die etwa eine Woche in Anspruch nahm, in der ich nicht die Ärztin wie von ihr angeboten mit Emails überhäufte, keine einzige Schulstunde versäumte und mich brav jeden Tag um 5 Uhr mit einem guten Buch ins Bett legte. Immerhin kam ich so in den Genuss meiner ersten Murakami-Lektüre, die ich in Zukunft sicher noch ausweiten werde, und sei es nur darum, mir ein wenig Schnee in das für meinen Geschmack in der Winterzeit zu sonnige Shanghai zu holen. Gegrübelt hab ich nur wenig.

Wenn ihr nun einmal wieder auf rutschigen Bürgersteigen zur S-Bahn schlittern solltet, die aufgrund der Witterungsverhältnisse nur im Halbstundentakt fährt, den Schnee und den Berliner Winterdienst wie jedes Jahr verfluchend, oder gar mit einer richtigen Grippe das Bett hüten müsst, denkt an mich und daran, wie gern ich vor einer Woche noch mit euch getauscht hätte! Ich melde mich wieder mit einem Bericht vom Frühlingsfest und wünsche euch für die Zwischenzeit einen guten Rutsch!

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Montag, 23. Dezember 2013
Frohe Weihnachten :)
Fotoaktion der Klasse 6a

Kommt der Weihnachtsmann doch aus China und heißt eigentlich Shou Xing? Aus gegebenem Anlass bin ich für euch auf Entdeckungsreise gegangen und habe den folgenden chinesischen Witz ausfindig gemacht:

Frage: Was haben Shou Xing, der chinesische Gott des langen Lebens, und Santa Claus gemeinsam?

Antwort: Nicht nur ihr Aussehen! Sie sind auch Mitarbeiter derselben Firma. Denn sie betreiben Express-Service mit Just-in-Time-Lieferung, und ihre Kunden sind ausschließlich Kinder.

(Die Welt, http://www.welt.de/print/wams/kultur/article112202111/Vielleicht-kann-er-uns-retten.html)

Ganz ohne Kapitalismuskritik wünsche ich euch nun besinnliche Weihnachten und pünktlich eintreffende Geschenke "made in China"!

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Donnerstag, 19. Dezember 2013
Ein koreanischer Vorgeschmack
Sicher, ich habe euch erst gestern mit einem neuen Eintrag bedacht, allerdings möchte ich euch mein Erlebnis der etwas anderen Art am gestrigen Abend, meinen ersten Besuch bei einem Nordkoreaner, nicht bis zum nächsten Jahr vorenthalten. Nicht nur, dass neben Kimchi und einem Hotpot auch rohes Hackfleisch auf den Tisch kam, das vor unseren Augen mit Eigelb vermengt wurde und ich trotz aller Experimentierfreude, die ich mir hier so zugelegt habe, nicht anrühren konnte, nein, dazu serviert wurde eine musikalische Showeinlage, bei der nordkoreanische und chinesisch-patriotische Liedchen mit schön artifiziellem Grinsen aufgeführt wurden:

Nordkorea in Shanghai
"Hey, was macht ihr überhaupt hier?", fragt wer eigentlich?

Wir erfuhren, dass das weibliche Personal wie die "Künstler" extra nach China entsandt wurden und in Shanghai, wenn keine Arbeit im Restaurant ansteht, abgeschirmt von der gefährlich-revolutionären Masse wohnen. Natürlich mussten die Damen sich zuvor einem staatlichen Test unterziehen, um dann nach wenigen Jahren doch wieder zurückgeschickt (wenn nicht gar gleich hingerichtet) zu werden. Ach, freut euch eures Lebens!

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Mittwoch, 18. Dezember 2013
Weihnachten für Anfänger
Als letzte Hinterbliebene meiner Art in Shanghai widme ich mich ohne viel Ablenkung einmal wieder einem kulturell bereichernden Blogeintrag. Ich kann euch berichten, dass auch hier ein wenig weihnachtliche Stimmung Einzug gehalten hat. Bestaunt nur diese kunstvolle Dekoration, die den Chinesen in Entzücken zu versetzen vermag:



Nicht nur einzelne Hochhäuser, nein, sogar ganze Straßenzüge wurden in riesige Leuchtreklamen verwandelt. Leider ließ sich das Lichtspektakel nur sehr schlecht mit der Handykamera einfangen und ihr müsst euch mit deutscher Mängelware zufriedengeben.

Vor dem Pearl Tower

Natürlich feiert hier keiner der mir bekannten Chinesen Weihnachten oder kann überhaupt viel damit anfangen. Die Kunstobjekte aus Plastik allerdings sind mittlerweile fast allen vertraut. Bei Guoguo fand ich ein chinesisches Kinderbuch, in dem atheistischen Zöglingen das relevante Weihnachtsvokabular anhand lustiger Bildchen von Plastiktannenbäumen und Weihnachtssternen vermittelt wird. Das Christkind war auf keiner Seite zu finden.

Dass diese Art der Allgemeinbildung wichtig ist für den weltoffenen Chinesen, zeigt ein Beispiel aus der Schule. Laut Augenzeugenberichten wurde der riesige Plastikbaum der Schule von Jack, dem Hausmeister, und seinen Leuten letztes Jahr glatt falsch herum aufgestellt, mit der Spitze nach unten. Ob der Baum einer Windböe wohl standgehalten hätte? Den Protesten der Eltern tat er es nicht.


Rätsel: Wo ist das Tannenbäumchen versteckt?

Nach Auskunft meiner chinesischen Freunde hat die Dekorationswut in den letzten Jahren in Shanghai stark zugenommen, sie ist aber wohl kaum den echten Christen in China, die weniger als 4% der Bevölkerung ausmachen, zuzuschreiben. Auch die Chinesen vermuten, dass der Rummel vor allem dem Konsum und den geschäftlichen Beziehungen dienen soll. (Ich frage mich jedoch, welcher Zugezogene sich wirklich über einen importierten Schokonikolaus für 8 Euro freuen kann.)


Und wo sind die Nikoläuse?

Meine letzte Woche verbrachte ich wenig weihnachtlich mit meiner ersten Gastro, die ich mir in einer Garküche eingefangen hatte (ja, manche hatten mich gewarnt), und dem Versuch, eine nette Arbeitskollegin darüber hinwegzutrösten, dass der Lehrerbeirat der Grundschule ihr und der einzigen anderen neuen Kollegin einen Tag vor Beginn der Ferien eröffnen musste, sie seien äußerst unzufrieden mit ihrer Integration und Präsenz an der Schule. Oh je! Ach, und nicht zu vergessen meine erfolglose Suche nach Risottoreis und Linsen, die Bestandteile der beiden Gerichte sind, die ich zum Essen geladenen Gästen auf den Tisch zaubern kann. Ich weiß nicht, welchen Eindruck meine improvisierte Gemüsesuppe auf Lena gemacht hat.

Jetzt genieße ich, auf der Couch sitzend, meine Ferien und freue ich mich riesig auf das Abenteuer Südkorea, das nächste Woche beginnen wird. Es bleibt also spannend! Bis dahin wünsche ich euch ein wenig Geduld und eine besinnliche Weihnachtszeit mit dem unverfälschten Duft von echten Tannenbäumen!

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Freitag, 6. Dezember 2013
Der Moloch
Allzu ängstliche Seelen unter euch möchte ich vorwarnen, denn mein Eintrag diese Woche wird sich nicht mit den schönen Seiten des Lebens in China befassen und ist vielmehr als Ablenkungsmanöver zu verstehen, mit dem Sinn, mich davon abzuhalten, in helle Panik auszubrechen. Ich beginne mit einer kleinen Messung der Luftwerte am heutigen Tag:

Smogwerte am Freitag - schönes Wochenende!

In Shanghai ist die Schadstoffbelastung angeblich so hoch, weil in der östlichen Region Chinas viele Kohlekraftwerke stehen, deren Emissionen durch ungünstige Luftdrucklagen und bei wenig Wind dann über Shanghai und Umgebung hängen bleiben. Interessant sind auch Vergleichswerte aus der Schule: Sport darf bei uns schon ab einem Wert von 150 nicht mehr gemacht werden, denn das Atmen fällt schwerer. Der heutige Zustand gleicht meiner Vorstellung von einer apokalyptischen Zukunftsversion.

Cosy Friday

Das mit der Ablenkung hat so natürlich nicht geklappt, und ich habe mich nun, die vielen Internetseiten über Gesundheitsrisiken bei Smogalarm schließend, ins Schlafzimmer meiner Wohnung zurückgezogen, mich mit dem Gedanken tragend, heute das Haus einfach nicht mehr zu verlassen und die Party bei einer meiner netten Kolleginnen abzusagen. Wie kontraproduktiv.

Ich hoffe, in Zukunft nicht so oft solche Artikel schreiben zu müssen, und wünsche euch ein entspanntes Wochenende mit viel frischer Luft!

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Montag, 2. Dezember 2013
Party time in China!
Bevor weitere sorgenvolle Mails bei mir eintreffen, kümmere ich mich mit ein wenig Verspätung um den noch ausstehenden Eintrag für die letzte Woche. Anders als die Überschrift erwarten lässt, hatte ich neben einer Fachbereichssitzung um 5 Uhr nachmittags und einer jeweils achtstündigen und nur inoffiziell verpflichtenden Fortbildung am Freitag und am Samstag wenig Zeit für das Schöne im Leben. Aber ich möchte nicht allzu sehr ins Jammern verfallen, wie es mein Beruf eigentlich vorsieht, denn immerhin kam ich in den Genuss meiner ersten Fußmassage und chinesischen "Party", der dieser Eintrag gewidmet ist.

Wissen solltet ihr zunächst, dass Lena, eine chinesische Freundin, mit der ich mir wöchentlich ein fabelhaftes Essen genehmige, mich bereits seit Wochen darauf vorbereitete, dass sie extra für ihre Freunde eine Party veranstalten wolle, und um eine vorläufige, doch definitive Zusage bat. Diplomatisch und ohne etwaige Terminkollisionen ließ ich ihr freie Wahl. Vor etwa zwei Wochen nannte sie mir dann den genauen Zeitpunkt: Sonntag, den 1. Dezember, um 11 Uhr morgens. Ich ließ mir meine Überraschung über die Planung nicht anmerken und sagte trotz der Vorliebe zum Ausschlafen zu - eine Entscheidung ohne Entrinnen, denn Lena besteht gewöhnlich auf Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, zwei "sehr lobenswerte" deutsche Eigenschaften. Pünktlich schaffte ich es zwar wie so oft nicht, dafür brachte ich viel gute Laune und Blumen zur Essensverabredung im Restaurant mit. Etwas erstaunt war ich darüber, dass alle außer Lan, die sich wenigstens über die aufgetischten Gerichte wie ein Kind freute, Deutsch sprachen und eher wenig Humor bewiesen (wie ICH es stereotyperweise vielen Deutschen zuschreiben würde), es handelte sich bei den fünf Gästen nämlich vorwiegend um Sprachschüler von Lena. Nach dem Essen schlug die Gastgeberin spontan wie geplant vor, zu ihr nach Hause zu gehen, um dort eine Spielerunde zu eröffnen. Ich wage eine Zusammenfassung: Ich fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt und hatte doch mehr Spaß bei dem erzwungenen Besuch auf dem Weihnachtsbasar der Schule als auf der Party mit den deutschen Auswanderern, aber ich mag Lena. (Dem kann selbst die Tatsache nichts anhaben, dass sie mir nach der durch Ablenkung gewonnenen Halma-Runde eine Porzellanfigur schenkte.)

Deutsch-chinesische Clownstage
Auf dem Weihnachtsbasar der Schule

Man mag es den chinesischen Gastgebern verzeihen, dem deutschen und deutschlandaffinen Publikum einen Clown zur Weihnachtszeit zu präsentieren, der Durchschnittschinese kennt ja das christliche Konzept nicht. Immerhin ist er mit mehr Freude bei der Sache als das kompetent-verbissene Publikum, das einfach die Sicht nicht freigeben wollte für einen netten Schnappschuss.

Und so entlasse ich euch mit einem wenig ausgeklügelten Eintrag in diese Woche und hoffe, dass ihr die vorweihnachtliche Stimmung in Deutschland genießt!

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