Einmal Shanghai und zurück
Montag, 6. Juli 2015
Von schönen Geishas, bequemen Yukatas und geheimnisvollen Kabukitheatern
門前の小僧習わぬ経を読む。(Mon zen no kozō narawanu kyō wo yomu) Literally: An apprentice near a temple will recite the scriptures untaught.

Kinkaku-ji
Der vergoldete Kinkaku-ji in Kyoto, der Stadt der 1000 Tempel

So lautete das Zitat, mit dem ich meinen ersten Moments-Eintrag zu dieser Asienreise bei WeChat, einem hier beliebten Messenger, einleitete. Eigentlich war es ja nicht sehr überraschend, dass der jeweilige Entwicklungsstand auch den Charakter und die Verhaltensweisen der in China und Japan lebenden Menschen so unterschiedlich zu prägen scheint, aber so begeistert war ich zunächst von der Ordnung, Sauberkeit und Höflichkeit im Land, dass ich am liebsten gleich meine Koffer gepackt und sie statt nach Deutschland nach Japan geschickt hätte. Dass es sich lohnt, doch erst einmal hinter die Kulissen zu schauen, bevor man die Spedition beauftragt, hat auch dieser Urlaub wieder bewiesen - aber nun erst einmal zurück zum Anfang.


Kimonoträger in Arashiyama, Kyoto

Es begann damit, dass mich meine chinesische Tandempartnerin Hye Yeong, deren Großeltern von Südkorea nach China emigrierten (was an dieser Stelle eure Verwunderung über den wenig chinesischen Namen erklären sollte), vor ein paar Monaten fragte, ob ich nicht Lust hätte, mit ihr eine Reise zu machen - sie habe eine Freundin in Osaka, die sich sehr freuen würde über unseren Besuch. Natürlich sagte ich sofort ja - und schuf damit die Grundlage für meine einzige ordentlich geplante Reise hier in Asien. Wir überlegten uns nicht nur die Route vor Reiseantritt, sondern buchten auch die Hotels außerhalb Osakas alle vorab. Wie sich das gelohnt hatte, zeigte sich spätestens dann, als wir das erste der schönen, im traditionell japanischen Stil gehaltenen Hotels betraten und die Hausschuhe direkt vor die Füße gestellt bekamen. Schließlich wurde in diesem Land auf alles geachtet: Der nachmittägliche Tee wurde uns komplett mit Küchlein an die Zimmertür gebracht, wir bekamen Yukatas (eine alltagstaugliche Version des Kimonos) für das hoteleigene Bad und ließen uns in unserem Separee in Arima Onsen mit einem überaus reichhaltigen (und leider für meinen Geschmack etwas zu fischigen) japanischen Frühstück verwöhnen. Unvergesslich bleiben mir auch die landestypischen Toiletten, die gleich mit verschiedenen Wärm-, Spül- und Reinigungsfunktionen daherkommen, sodass man das stille Örtlein gar nicht mehr verlassen möchte.

Nissho Besso
Das Nissho Besso in Kyoto - auch auf Tatamimatten lässt es sich hervorragend schlafen und ...

Im Yukata
... zu Fotositzungen im Yukata laden, vorausgesetzt natürlich, man hat eine Selfiestange!

Dabei hat Japan so viel mehr zu bieten als vorgewärmte Toilettensitze, und vor allem in kulinarischer Hinsicht gibt es für uns Westler über das uns bekannte Sushi hinaus einiges zu entdecken. Nicht nur unter Kindern sehr beliebt ist zum Beispiel das Matcha-Eis, das aus Grünteepulver hergestellt wird. Die Geschmacksrichtung taucht dann auch gerne in sämtlichen anderen Süßspeisen wieder auf, ich denke zum Beispiel an Matcha-Käsekuchen und Matcha-Eistee. Neben Ramen konnte ich mich auch für die einfachen Udon-Nudeln erwärmen, die in einer Suppe gereicht werden. Die fahlen Soba werden mich wohl für immer kalt lassen, aber das macht ja nichts. Schließlich gab es noch so viel mehr zu probieren, wie die großen japanischen Pfannkuchen, Hotpot und Kaiseki, ein mehrgängiges Menü, bei dem vor allem Suppe, Fisch und Gemüse gereicht werden und natürlich kein Wunsch offen bleibt, es sei denn der nach etwas Vertrautem.

In Kyoto
Kaiseki, ein japanisches Mehrgangmenü

Über die kulturelle Seite des Landes lernte ich sehr viel im bezaubernden Kyoto, in dem wir gemeinsam mit in Kimonos gehüllten chinesischen Touristen einen Tempel nach dem anderen erkundeten und unsere Kellen, die so Schönes wie Glück, Reichtum oder Gesundheit versprachen, in geheimnisvolle Quellen tauchten. Wie schön war es zu sehen, wie in diesem Land - ganz anders als in Shanghai, in dem alles Alte dem Erdboden gleich gemacht wird - Tradition und Moderne nebeneinander weiterbestehen. Als stolze Teilnehmerin eines Interviews mit japanischen Schülern verlieh ich dann selbstverständlich meiner Begeisterung und Entzückung über dies so gut Ausdruck, wie es in Einwortantworten eben möglich ist. Denn dass die Japaner wirklich kaum Englisch sprechen, das hatte ich längst erfahren. Auf die Frage, ob ich Kanji, die japanischen Schriftzeichen, lesen könne, war meine Antwort dann auch ein beschämtes "Nein".

Da ich im Rahmen meiner Examensarbeit schon so viel darüber gehört hatte, freute ich mich nun, nachdem ich bereits in die anmutigen Tänze der Geishas eingeführt worden war, besonders auf den Besuch eines japanischen Theaters. Bei meinem Eintreffen im Foyer war ich dann zwar kaum auf die vierstündige Vorstellung vorbereitet, die mich erwarten sollte, ich verließ aber auch erst nach stolzen 45 Minuten den Theatersaal. Der Gedanke, dass Menschen tatsächlich einen ganzen Nachmittag im Theater verbringen, um dem Darstellenden Spiel zu frönen, ließ mich den restlichen Nachmittag lang glücklich auf den in Beton gegossenen Pfaden Osakas umherwandeln.


Motive und Figuren des Kabukitheaters haben auch die Mangaszene des Landes beeinflusst.

So verbrachte ich die letzten zwei verregneten Tage in dem charmelosen Osaka und dem hübschen Nara. Schon am vorletzten Tag hatte sich Hye Yeong von mir getrennt, weil ich durch meinen nach spätestens zwei Stunden einsetzenden Unmut ihre Shoppingodysseen gefährdete, und mir war plötzlich nicht nur klar, warum sie von Beginn an bei dem Flugunternehmen 10 kg zu ihrem Rückreisekoffer hinzugebucht hatte, sondern auch, warum Japan die Einreisebestimmungen für chinesische Besucher so sehr gelockert hatte. Ich hatte jedenfalls besseres zu tun, als mir in riesigen Kaufhäusern die Zeit zu vertreiben, und machte mich alleine auf Erkundungstour, am Ende heilfroh, nicht von einem der auf den Straßen Naras herumlaufenden, eigentlich so niedlichen Rehe in den Po gebissen worden zu sein.

雨降って地固まる (ame futte chi katamaru) Literally: after the rain, earth hardens


In Nara begegnet man auf der Straße Rehen - aber Vorsicht Beißgefahr, wenn man sie nicht mit Leckereien füttert!

Schlussendlich bereute ich es doch nicht, nicht voreilig schon meine Päckchen nach Japan geschickt zu haben, denn in einem Land, in dem es werktags eines gesonderten Frauenwagens in der U-Bahn und einer Regelung zum Verbot von freitäglichen Überstunden bedarf, würde sich mein inneres Faultier nur schwerlich dauerhaft niederlassen können. Und so machte ich mich mit nicht wenigen neuen Erkenntnissen in der Tasche das vorletzte Mal auf die Rückreise ins trotz seiner Fassadenhaftigkeit so authentische Shanghai. In der Hoffnung, auch für euch den Schleier Asiens wieder etwas gelüftet zu haben, grüße ich euch aus meiner von sommerlicher Feuchtigkeit vernebelten Wohnung in China! 下​次见​ Xià cì jiàn!


Quelle der japanischen Redewendungen: http://www.linguanaut.com/japanese_sayings.htm

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Haha, auf den ersten Blick...
… hab ich "für uns Wrestler" gelesen :) Dazu das Foto von Euch in diesen Kimonos, die auch als Kampfanzüge durchgehen könnten… "Dieser Blogeintrag verspricht interessant zu werden..."
Aber auch ohne Wrestling (schade!) hört sich das alles ganz toll an und sieht auch ganz toll aus. Bin ein bisschen neidisch! Besonders das Essen usw. und wie hübsch alles ist. Ganz zufällig hab ich gerade letzte Woche japanisches Nô-Theater gesehen, an der Staatsoper hier in Berlin, mit einer Choreographie von Sasha Waltz, hat mir muss ich sagen sehr sehr gut gefallen, dauerte allerdings auch nur 90 min ;)
Ich hab mal so ein Video von um die Häuser streichenden Rehen gesehen, jetzt wird mir klar, dass das in Japan gewesen sein muss. Das ist natürlich noch ein bisschen cooler als Füchse und Wildschweine.
Aaaah Deine Zeit in Shanghai ist fast zu Ende! Wirst Du es nicht schrecklich vermissen? Ich vermisse es ja selbst nach der kurzen Zeit schon. Viele Grüße, auch an Hye, falls Du sie nochmal siehst (hieß sie nicht irgendwie anders?) und bis sehr bald in Berlin! Karo

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