Einmal Shanghai und zurück
Mittwoch, 20. August 2014
Back in da Haus!
Hallo ihr Lieben in der Ferne,
wahrscheinlich könnt ihr es euch denken, aber tatsächlich bin ich nach der ausgedehnten Sommerpause wieder im verregneten Shanghai angekommen - zwar nicht so angenehm wie ich dachte, aber immerhin gut genug, als dass ich euch in gewohnter Weise von meinen neuesten Erlebnissen berichten kann. Das Wichtigste nehme ich am besten gleich vorweg: Ich habe seit gestern den Schlüssel zu meiner neuen Wohnung und werde demnächst zwar höchst inoffiziell, dafür aber mit voller körperlicher Präsenz in der French Concession Shanghais wohnen. So sehr ich meine Julu Lu liebe, auf den Gestank und die nicht funktionierende Deckenbeleuchtung kann ich gut verzichten. Hört euch also an, wie ich die Kakerlaken hinter mir gelassen und die geruchsneutralere Wohnung ergattert habe.

Teil I - In Transit

Meinen Flug über Moskau nach Shanghai trat ich ganz ohne die Hilfe von Schlafmitteln an. Ich nehme an, meine Wehmut war der Grund dafür, dass die ersten zwei Stunden wie im Flug vergingen, ganz im Gegensatz zu der fünfstündigen Wartezeit, die ich in Transit in Moskau verbringen sollte. Auf russischem Boden gelandet, schleppte ich mich und mein eigentlich nicht sehr wertvolles Netbook von Terminal D zum in ca. 3 Kilometer Entfernung liegenden Terminal F; immerhin hatte ich daraus gelernt, dass mein Koffer in Berlin erst mit dreitägiger Verspätung eingetroffen war. Dass die Zahl meines Gates nur schwer zu erkennen war, es an den nötigen Anzeigetafeln mangelte und eigentlich noch niemand zu dieser nachtschlafenden Uhrzeit hier eingetroffen war, veranlasste mich dazu, mir ein möglichst gemütliches Schlafplätzchen in der Umgebung zu suchen. Nach einem wenig erquickenden Schläfchen auf dem kalten und harten Flughafenteppich bewegte ich mich sicherheitshalber, die Zeit war mir doch entglitten, zurück zum Gate, dessen Wechsel nun über Lautsprecher angekündigt wurde, und ich setzte mich zwischen die Wartenden auf eine Bank in mittlerer Entfernung. Als mein Nachbar den angrenzenden Sitz freimachte und ein kurzer Abgleich mit der Uhr auf meinem Handy noch immer zwei Stunden bis Abflug anzeigte, nutzte ich die Gelegenheit für ein weiteres Nickerchen. Ich konnte es bei Erwachen kaum fassen, dass es immer noch mehr als eine Stunde bis zum Besteigen der Maschine dauern sollte, wunderte mich dann aber, dass die asiatischen Gesichter um mich herum sich in westliche verwandelt hatten. Ich entschloss, mich sicherheitshalber direkt zum Abflugsgate zu bewegen, um gegebenenfalls dort noch ein wenig Schlaf zu tanken. Doch auch hier sprach nun keiner der Wartenden mehr Chinesisch! Auf der Suche nach einer der sehr spärlich gesäten Anzeigetafeln stellte ich fest, dass mein Flug auf keiner mehr auftauchte. Panik ergriff mich, ich lief auf dem unübersichtlichen Gang auf und ab, fragte jeden asiatisch aussehenden Reisegast, ob er auch nach Shanghai fliegen wolle, und bekam nur belustigtes Grinsen als Reaktion. Was war passiert? Hatte ich die Uhrzeit auf meinem Handy falsch interpretiert? Der nächtliche Schleier lichtete sich langsam – ich hatte meinen Flug verpasst! Nach der aufgeregten Suche nach dem Servicepersonal des Flughafens, das nicht leicht zu finden war, machte ich mich also auf den Weg zum versteckten Cash Desk im entfernten Terminal D, das zwar kaum ein Mitarbeiter des Flugunternehmens kannte, ich aber trotz steigender Verzweiflung nach einer Stunde fand. Dass der nächste Flieger erst in zwölf Stunden gehen und ich das neue Ticket bezahlen sollte, war dann auch gar nicht der Grund für die Tränen, die sich am Schalter plötzlich lösten. So machte ich mich auch ganz schnell auf den Rückweg, als mir die Aeroflot-Mitarbeiterin plötzlich einfach eine neue Bordkarte in die Hand drückte und mich wieder zum Terminal F schickte – anscheinend hatte das Flughafenpersonal doch ein wenig mehr Herz, als es sonst zu zeigen bereit war. Mit dem Ticket in der Tasche war es dann nicht mehr so schlimm, die wirklich lange Zeit am Flughafen ohne Raucherräume, aber mit abgelegenen Toiletten zu überbrücken. Dass mein Gepäck auch wirklich mit mir ankommen würde, daran hatte ich sowieso nicht mehr geglaubt, und ich war schnell versöhnt, als meine Sachen anders als in Berlin gleich am nächsten Tag, wenn auch nicht zur vereinbarten Uhrzeit, bei meinen Nachbarn abgegeben wurden. Der zweite Teil meines Chinaabenteuers konnte beginnen.

Teil II - Auf chinesischer Verhandlungsbasis

Nach der eher ernüchternden Rückkehr machte ich mich schnell auf die Suche nach einer neuen Wohnung. Viel Zeit hatte ich nicht, wollte ich wie vereinbart am Ende des Monats meine Bleibe wechseln. Dieses Mal hatte ich auch gleich drei Maklerinnen zur Hand - Moment, eigentlich zwei, denn aufgrund der Krankheit von Rachels Mutter war sie dazu gezwungen, die Aufgabe an unsere gemeinsame Freundin Andra weiterzureichen, die sich am Samstagmorgen dann mit mir auf die Jagd machte. Wäre da nicht die sehr aufwendige Suche nach den Schlüsseln zu den zu besichtigenden Wohnungen gewesen, die in Brief- und Stromkästen sowie in mehr oder weniger nahe gelegenen Geschäften versteckt sein sollten, es dann aber nicht immer waren, hätten Andra und ich zwar wohl auch keine geeignete Wohnung gefunden, aber wesentlich weniger Zeit dafür gebraucht, dies festzustellen. Auch die Bleiben, die Angela, eine andere Maklerin mir zeigte, hatten alle ihr Manko – zehn Zentimeter breite, aber dreißig Zentimeter hohe Treppenstufen, fingergroße Spalte in den Fenstern oder gar kein Licht. Ausgerechnet die unsympathische Tracy, an die mich mein alter Makler Noel verwiesen hatte, zeigte mir dann eine Wohnung, die zwar nicht als charmant, aber wenigstens als praktisch zu beschreiben und sehr gut gelegen war. Und so nahm ich nun gestern trotz merkwürdiger Verhandlungen und meines schlechten Gewissens den netteren Zeitgenossinnen gegenüber die Schlüssel von ihr in Empfang.
Was ich natürlich nicht wusste, konnte Lena für mich in Erfahrung bringen, die mich zu der Vertragsunterzeichnung begleitete. Vielleicht war es den verhandelnden Parteien nicht ganz klar, dass Lena bilingual ist und perfekt Chinesisch spricht, denn sonst hätten sie wohl kaum so offen über ihre Ansinnen gesprochen. Tracy versuchte zunächst erfolglos, bei der Wohnungsvermittlung ihre Agentur außen vor zu lassen und alleine die Provision zu kassieren. Die Vermieterin andererseits bat Tracy darum, die Wohnung mit mir gemeinsam bei der Polizei zu registrieren, nein, falsch, mich offiziell für eine andere Unterkunft anzumelden als die, in der ich tatsächlich leben sollte, denn diese gehört der Regierung und wird auch von meiner Landlady nur gemietet. So machen wieder einmal alle ihren Gewinn bei dem Expat-Geschäft, aber das soll mir egal sein, solange ich eine neue Bleibe habe und nicht demnächst Bekanntschaft mit der chinesischen Polizei machen muss.

In der Anfu Lu

Sehr froh bin ich trotz allem, es wieder geschafft zu haben, in dem fernen Shanghai anzukommen und ein wenig Fuß zu fassen. Wie der zweite Teil des Abenteuers weitergehen wird, lest ihr am besten in meinem nächsten Blogeintrag. Xiàcìjiàn!

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Sonntag, 24. November 2013
生日快乐 Shēngrì kuàilè!
Diese Woche werde ich mich kurz fassen und euch vor allem für die vielen netten Geburtstagsgrüße danken, die mich sehr glücklich gemacht haben! Sogar Geschenke habe ich bekommen, und zwar meinen ersten Blumenstrauß von Schülern (einen sehr großen noch dazu), ein eher schiefes Ständchen von meiner alten Klasse in Berlin, einen Muffin, Marmelade, eine Topfpflanze und das folgende Schmuckstück, das meine chinesische Freundin Jane für mich gebacken hat:

Ein Kaesekuchen von Jane

Seid herzlich gegrüßt von einer Emigrantin, die wünschte, sie würde euch nicht so arg vermissen!

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Sonntag, 17. November 2013
Von Bettlern, Beschäftigten und Beutegeiern
Nachdem Gao Ayi nicht wie erwartet letzten Sonntag bei mir erschienen war und ich meine Wohnung in einem Wutanfall selbst geputzt hatte, gab ich ihr bzw. ihrer kleinen Schwester (praktischerweise auch Gao Ayi, weil man bei der Anrede immer den Nachnamen wählt) in dieser Woche eine zweite Chance. Ich hatte ja extra für sie bereits ein Buch mit Nachrichten auf Chinesisch begonnen, wobei mir Lena, eine chinesische Bekannte, geholfen hatte. Dieses Mal kam es auch nur eingeschränkt anders als gedacht.

Nach meinem freitäglichen Chinesischkurs an der Schule, in dem ich zur absoluten Streberin avanciert bin, weil ich die Grundregeln der chinesischen Phonetik verstanden habe und das Wort shì (sein) richtig ausspreche, machte ich mich voller Vorfreude auf den Weg nach Hause. Gerade erst hatte ich das Carrefour in der Nähe der U-Bahn entdeckt und konnte mir einen Abstecher nicht verkneifen, denn ich war schon ZWEI WOCHEN lang ohne Käse auf meinem bei einem Onlineshop bestellten Brot ausgekommen. Ich hatte ja Zeit, da ich erst um vier mit Gao Ayi verabredet war und meine Wohnung an diesem Wochenende nicht selbst reinigen, sondern nur noch schnell die dreckige Wäsche vom Boden aufsammeln musste. Wohlgemut und -genährt kam ich gegen viertel nach drei in der wie immer hübschen Julu Lu an. Als ich die Treppen zu meiner Wohnung erklomm, hörte ich weibliche Stimmen im Treppenhaus, und mir kam spontan der Gedanke, dass dies Gao Ayi sein könnte. Und tatsächlich scheint es mit den chinesischen Zeitangaben manchmal wie mit dem Geburtsdatum zu sein - Gao Ayi saß auf der Treppe und hatte in der Zwischenzeit wohl bereits länger mit Jenny das Problem meines Nichterscheinens erörtert. In meiner Wohnung angekommen, überreichte ich der sehr sympatischen Frau nun mein Büchlein mit dem Brief an sie, um festzustellen, dass sie leider nicht lesen kann. (Auch meine chinesischen Freunde waren überrascht darüber, da es wohl sehr selten vorkommt, dass eine Dreißigjährige Analphabetin ist.)

Bei Nacht sind alle Puppen gleich
Nächtliche Funde in der Julu Lu

Wie dem auch sei, meine Wohnung habe ich in noch keinem so sauberen und meine Kleider noch nie in einem so faltenfreien Zustand gesehen. Ich wäre so glücklich gewesen, wäre da nur nicht der für das Bügeleisen ausgestöpselte Router gewesen, der mich meines Internets und des entspannten Freitagabends beraubte, an dem ich meine Wohnung auch selbst hätte putzen können. Immerhin kam ich so in den Genuss eines chinesischen Flirtversuchs. Nachdem ein Techniker spontan meinen Anschluss in fünf Minuten repariert und eine viertel Stunde lang versucht hatte, einen Englisch sprechenden Mitarbeiter zu erreichen, um zu bestätigen, dass mein Anschluss funktionierte ("Can you confirm that your internet is working" - "Yes"), hinterließ er mir seine Nummer und über meinen Makler die Nachricht, dass ich ihn demnächst ja selbst anrufen könne, wenn ich Probleme hätte. Nun ja...

Um zur eigentlichen Titelgeschichte zu kommen, stellt euch Folgendes vor: Alle Bettler in Shanghai leben eigentlich in Saus und Braus. Zum Spaß nur gehen sie tagsüber auf die Straße, um dort gutes Geld zu machen. Um die Kapitalzinsen noch zu steigern, entführen sie das eine oder andere Kind, verstümmeln es und heimsen damit mehr Mitleid und vor allem mehr Geld ein. Nachts schlafen sie dann in Himmelbetten in Fünf-Sterne-Hotels. --- Und die dummen Chinesen fallen auch noch darauf herein! Die muss doch auch einmal von offizieller Seite jemand aufklären und ihnen sagen, dass sie bitte kein Geld mehr spenden sollen! Nur gut, dass genau das hier auch gewissenhaft gemacht wird.

Mit diesen märchenhaften Gedanken beschließe ich den Eintrag für diese Woche und wünsche euch ein Wochenende ohne Spülschwamm und Gewissenskonflikte!

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Samstag, 26. Oktober 2013
Wǒ de shēnghuó zěnmeyàng?
In meiner Wohnung um neun Uhr morgens

8 Uhr: Hier sitze ich nun am frühen Samstagmorgen, die Sonne fällt durch die Fenster des Wintergartens auf die Fliesen des Wohnzimmers, ich trinke meinen kostbaren Kaffee und eigentlich könnte alles so schön sein, wäre da nicht diese frühe Uhrzeit und das scheinbar so endlose Warten. – Auf wen warte ich eigentlich? Und warum? – Eine Erklärung scheint ohne die Kenntnis der 3000 Schriftzeichen, die im Alltag zum Lesen benötigt werden, nicht so leicht. Denn diese Woche kam mit einer netten Nachbarin ein Zettel in meine Wohnung geflattert, anhand dessen ich ausführlich informiert wäre über die Aktion der chinesischen Regierung, die heute Morgen durchgeführt wird. Zur Wartung sämtlicher Gasanschlüsse in meiner Wohnung sind seit 6 Uhr Handwerker in unserem Haus, die glatt zu überhören wären, würde ihr Klopfen nicht begleitet von vehement lauten Rufen, derer man nur verschont bliebe, wenn man schnell genug an der Tür wäre. Wie ich zum Beispiel, die ich, hellwach, um viertel vor 8 endlich einer Dame öffnete, die sich kurz meinen Boiler ansah, einen Aufkleber auf der Herdplatte befestigte und, mir ein paar unverständliche Worte entgegenschmetternd, wieder aus meiner Wohnung verschwand.

10 Uhr: Seitdem sitze ich wartend und mich langweilend auf der Couch und öffne ab und zu einem Handwerker, der nach kurzer Zeit wieder das Weite sucht, die Tür, mich fragend, ob ich meine Wohnung selbst je wieder verlassen kann, ohne Gefahr zu laufen, einen größeren Personenkreis auf mich und meine Aktivitäten an diesem Wochenende aufmerksam zu machen.

Die Megastadt bei Sonnenuntergang um halb 6
Die Yan'an Lu einmal aus einer anderen Perspektive und als Metapher für meinen momentanen Gefühlszustand

12 Uhr: Ich frage mich, da meine Essenvorräte langsam dem Ende zugehen, wie lange ich noch warten muss, um mir ein paar hausgemachte Chinanudeln holen zu können – kochen kann ich mir ja schließlich keine! Und ein frisch aufgebrühter Kaffee wäre auch besser als dieses aufgelöste Instantpulver, das ich jetzt schon seit Stunden in mich hineinschütte. Wie kann überhaupt von einem Menschen erwartet werden, dass er seinen Samstag, und einen so sonnigen noch dazu, in seiner Wohnung verbringt, darbend und dürstend nach dem Lebenserhaltenden?

13 Uhr: Endlich sah es so aus, als sei Rettung in Sicht: Ein wieder anderer Handwerker kam vorbei und hebelte an meinem Herd herum. Alles sah sehr viel versprechend aus, bis er begann, mir Fragen zu stellen. – Das alte Problem. (Mein Wortschatz begrenzt sich leider noch auf die wirklich notwendigen Dinge im Leben. Die Gastherme und der Gasherd gehörten bisher nicht dazu.) – Anscheinend konnte auch das Gespräch mit meinen Vermietern nicht weiterhelfen, denn der Handwerker verabschiedete sich gerade und verließ meine Wohnung. Dass die Arbeit aber noch nicht beendet ist, davon zeugt meine nicht aufgeräumte Küche. – Nun werde ich die erste Verabredung für heute Nachmittag absagen.

13:30 Uhr: Zwei Männer, die ich nicht verstehe, stehen nun in meiner Küche, um sich um verschiedene Gasanschlüsse zu kümmern. Ob der zweite Mann wohl zurechtkommt, ohne dass ich mit ihm sprechen bzw. fünf Telefongespräche mit meinem Makler Noel führen muss?

14 Uhr: Okay, ich gebe es zu, sie waren dann doch schneller wieder weg als gedacht und verhungern werde ich wohl kaum. Und auch in Deutschland muss man ja meist einen Urlaubstag einplanen, wenn man zu Hause auf einen Telekomelektriker wartet. Allerdings müsste man dort nicht am Sonntag die 100 Euro für den ausgetauschten Herd bar bezahlen, sondern könnte die Rechnung einfach überweisen. Schade ist es auch um meine Verabredung mit Jane im Park. Da kann ich nur hoffen, dass das Wetter nächstes Wochenende auch noch so gut sein wird. Stellt euch vor, schnell ist das Thermometer auch hier auf 19 Grad gesunken.

Nachdem ihr euch nun meine Wehklagen so lange angehört habt, wünsche ich euch ein handwerkerfreies Wochenende und frage mich völlig übermüdet:
Nǐmen de shēnghuó zěnmeyàng?
你们的生活怎么样?

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Samstag, 12. Oktober 2013
Erster Wetterbericht oder Wie man einen Taifun bei schlechter Bausubstanz übersteht
Diese Woche nun war es endlich so weit - der erste Taifun (oder besser dessen Ausläufer) kam an Shanghai vorbeigewirbelt. Katastrophale Schäden richtete er trotz alarmierender Ankündigung durch die Regierung als ein Taifun der Stärke 5 nun wirklich in Shanghai nicht an, sondern beschränkte sich ganz brav auf die Überschwemmung des naheliegenden Shenzhens, führte so leider aber auch zu keinerlei Unterrichtsausfall, obwohl ich als Schulleiterin den sicher angeordnet hätte. Hört euch aber selbst an, wie ich zu dieser Entscheidung gekommen wäre.

Nach dem Aufwachen am Dienstag um 5:45 Uhr (!) schaltete ich noch vor dem allmorgendlichen Duschgang meinen Computer an, in freudiger Erwartung, auf der Homepage der Schule die Nachricht über den Unterrichtsausfall zu entdecken. Die Wetterlage war schon am Abend zuvor vielversprechend gewesen, seht nur, wie es vor meinem Badezimmer wütete:

Hier die Vorzeichen des ersten Taifunauslaeufers in Shanghai
Info: Der Himmel ist grau vom Regensturm

Aber leider nichts. Ich machte mich also auf den Weg in die Schule. Da ich vor meiner Haustür nur ins Taxi springen musste, das ich an den frühen Schultagen mit drei Arbeitskolleginnen teile, konnte ich hier größeren Wasserschäden knapp entrinnen. In der Schule angekommen, schien abgesehen von kleineren Überflutungen am Rande des Geländes das Gebäude in einwandfreiem Zustand und zugänglich zu sein. (Am Tag der Sekundarstufenparty vor drei Wochen war das gesamte Gelände geflutet und die Schüler mussten zu Hause bleiben). Wir legten also unsere Hoffnungen auf einen schulfreien Tag ad acta und begannen mit dem Unterricht. Von den Schülern meiner sechsten Klasse hatten es fast alle mehr oder weniger trocken in die Schule geschafft. Während wir also an einer Luftschlange für das Klassenzimmer bastelten (und nein, wir amüsieren uns nicht die ganze Zeit sinnlos, die Bastelarbeit diente einem größeren Zweck, nämlich dem Verfassen einer Vorgangsbeschreibung), prasselte und donnerte der Regen mit einiger Wucht gegen die Fensterscheiben. Und es kam, wie es kommen musste: Nach nur 20 Minuten saß mein erster Schüler in einer Pfütze und waren die Kabel von Visualiser und Smartboard allesamt Teil eines hübsch potentiell elektrisch geladenen Konglomerats. Meine in panischen Schwitzanfällen mündende Aufregung teilte zu meiner Überraschung niemand so recht: Meine wie jeher untätige Praktikantin ließ sich nur missmutig auf den Vorschlag ein, doch nach Hilfe zu suchen, die Schüler freuten sich über ein wenig Ablenkung und stapften immer wieder "zufällig" durch die sich stetig vergrößernde Lache auf dem Boden, und auch sonst reagierte zunächst niemand im Haus auf meine immer lauter werdenden Hilferufe (hier metaphorisch gemeint :). Schließlich erbarmte sich eine der netten Ayis dazu, mit einem Putzwedel der Vergrößerung der sich in kleine Teiche verwandelnden Wasseransammlungen entgegenzuwirken. To cut a long story short, natürlich wurde bis 15:20 Uhr weiter unterrichtet, wenig repariert, aber viel gewischt, und noch heute hing eine Platte an der Decke meines Klassenraumes durch, die jederzeit (laut Verwaltungsleiter) auf die Kinder hätte herabbrechen können. Dagegen getan hat noch keiner etwas, außer mir natürlich, die zwei Tische darunterstellte und die Kinder auf eine andere Seite des Raumes verfrachtete. Mit meinem Sicherheitsbedürfnis fühlte ich mich einmal wieder richtig deutsch :)

Glücklicherweise hielt sich zu Hause die Aufregung in Grenzen: Außer einem kleinen Rinnsal, das am Küchenschrank herabtropfte, und einem größeren Wasserfleck auf meinem Wintergarten, den ich erst heute bemerkte, ist die Shanghaier Altbauwohnung doch sturm- und wasserfester als gedacht. Sowieso ist Sorge hier wenig angebracht, denn in sämtlichen Ecken befinden sich, wie ihr wisst, Abflüsse, die das Wasser zur Not auch auf den Balkon meiner freundlichen Nachbarinnen abfließen lassen. Ich hier oben bin also auf sicherer Höhe!

Und aus der Naehe sah der Taifun dann so aus..

Ab Mittwoch ließ sich dann die Sonne wieder blicken und war erneut verantwortlich für eine gefühlte Temperatur von 30 Grad (als ob der Angstschweiß nicht ausreichend wäre). Genießt ihr also euer angenehm kühleres Wochenende!

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Samstag, 14. September 2013
Wunderliches in und aus meiner Wohnung
Da ich diese Woche eigentlich nicht viel Neues zu berichten habe, finde ich endlich einmal die Zeit, euch mein neues Zuhause näher vorzustellen. Ich erspare mir genauere Details darüber, wie ich das erste Mal verschlief, dann doch eigentlich nur 10 Minuten zu spät zum Unterricht kam, und dennoch auf wenig Verständnis bei meinen Sechstklässlern traf. (Es wird sie schon auch noch treffen!) - Dass chinesische Schüler anders reagieren würden, weil sich hier überhaupt niemand über irgendetwas wundert, davon bin ich überzeugt. Schaut doch einmal, wie brav sie hier an einem Montagmorgen ihren Motivationssport absolvieren:

morgens um 8

Ich möchte euch nichts vormachen: Dies ist der Ausblick aus dem Gästezimmer, in dem einige von euch in Zukunft übernachten werden, und ja, die Kinder sind - außer beim Morgensport, da ist es der Motivationstrainer - genauso laut wie deutsche Kinder auch! Am Morgen ist es der Schulleiter, der über ein Mikrofon Ansagen macht, die dann mehr oder weniger motiviert, aber immerhin in optisch ansprechender Ordnung befolgt werden. Aber keine Sorge, die Schule beginnt erst um 8, wie bei uns auch ;-)

Nach kleineren anfänglichen Schwierigkeiten beginne ich langsam, mich in meiner Wohnung wohl zu fühlen. Und das, obwohl ich am letzten Sonntag die erste Riesenkakerlake erledigen musste - ich möchte nicht genauer darauf eingehen, wie ich mich gefühlt habe. Auf das Beweisfoto habe ich auch verzichtet, ich hoffe, das ist in eurem Sinne. Begeistert war ich dagegen von der Entdeckung, dass sich hinter den vielen Vorhangsschichten in meiner Wohnung ein Blick auf Luziazui (den Flaschenöffner und den Shanghai Tower) eröffnet - nur die, die gut aufgepasst und sich alle Bilder angesehen haben, wissen nun, wovon die Rede ist, und bekommen dafür natürlich eine 1!

Für Kenner: Blick gen Luziazui

Meine Sorge, nie für länger als 20 Sekunden warmes Wasser zu haben, hat sich mittlerweile in Luft aufgelöst. Dank meines 26- (eigentlich 25-) jährigen Maklers nahm am letzten Sonntag ein Installateur die Angelegenheit um kurz nach 10 Uhr morgens in Angriff. Man beachte die kaum zu übertreffende Pünktlichkeit! Statt um halb 11 war er um 10 nach 10 bereits hier, wenige Minuten später traf die Frau des Vermieters ein, dann der Vermieter selbst. Da die beiden Zuschauer nichts mit der Reparatur zu tun hatten und sich beim Herumstehen langweilten, kam ich dann sogar noch in den Genuss eines Gesprächs mit meiner Vermieterin, die allerdings kein Wort Englisch spricht. Meine Interpretationsleistung erstreckte sich über circa drei Sätze, dann mussten wir mit Hilfe des Google Translators das Gespräch weiterführen. Von dessen Qualität bin ich nicht wirklich überzeugt, denn weder habe ich einen Vorschlag für einen würdigen Ehemann für ihre Enkelin, noch konnte ich mir den Familienstammbaum logisch erschließen - meine Vermieterin ist nach eigener Aussage 48, ihre Enkelin aber 30 Jahre alt. Vielleicht kann mir das ein Matheass unter euch ja bei Gelegenheit einmal erklären.

In den Genuss des unübertrefflichen chinesischen Services kam ich heute dann gleich ein zweites Mal: In Folge der Benutzung zweier Klimaanlagen (ja, hier ist es noch über 30 Grad warm), meiner Waschmaschine, einiger Lampen, des Warmwasserboilers und meines MP3-Players verabschiedete sich der Strom aus meiner Wohnung, und stellt euch vor, nur 15 Minuten später kam ein Elektriker, der meine Stromversorgung wieder sicherstellte! In Deutschland hätte ich den Schalter tatsächlich selbst suchen müssen.

(Zu meiner Verteidigung muss ich anmerken, dass ich sämtliche Schalter in und vor meiner Wohnung selbst zu betätigen versuchte, aber an einem Kasten scheiterte, der nur mit Schlüssel zugänglich zu sein schien. Wer hätte wirklich vermutet, dass die Schlüssellöcher nichts bedeuten und der Draht an der Seite die Lösung des Problems darstellt?)

Wenn ihr nun neugierig auf meine Wohnung geworden seid, dann möchte ich euch auf den Bilderordner verweisen, den ich aktualisiert habe, und verbleibe mit noch immer überhitzten Grüßen!

Nihao dajia

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Sonntag, 1. September 2013
Persönliche Feiertage und andere Tage
An dieser Stelle hätte ich euch endlich von unserem Kurzausflug nach Hangzhou berichtet, wäre da nicht ein einschneidendes und lebensveränderndes Ereignis dazwischengekommen: mein Umzug vom Hotel in Pudong in meine Wohnung in Puxi. (Nebenbei bemerkt bin ich genau heute einen Monat lang rauchfrei, wenn auch abhängig von Nikotinpflastern, - das zu feiern wohl eher unangemessen wäre.) Da ich heute tagsüber gerne für euch Fotos gemacht hätte, aber mehr mit Koffer und Kisten Schleppen, einem Ikeabesuch und der Suche nach einem Supermarkt beschäftigt war, lernt ihr meine Straße und die Umgebung erst einmal bei Nacht kennen:

Erster Tag nach Umzug, Tandem, Ikea und Einkaufen

Meine Wohnung ist im fünften chinesischen Stock, das heißt auf gut Deutsch im vierten. Denn die Zahl vier klingt ausgesprochen wie das Wort für Tod, weshalb in vielen Häusern das vierte Stockwerk einfach übersprungen wird. (Es scheint gang und gäbe zu sein, den Aberglauben trotz seiner Allgegenwart als kantonesische Eigenart zu verteufeln. Es leben die goldenen Sechziger!)
Zu klären ist in Zukunft: Warum im fünften und nicht im sechsten? Denn ein Erdgeschoss gibt es in China eigentlich auch nicht, - aber nun gut, man kann nicht alles logisch erklären wollen. -
Und seht, was ich noch entdeckt habe: Telefonzellen gibt es anscheinend auch in einem Land, in dem ohne Ausnahme jeder immer mit seinem Mobiltelefon beschäftigt ist, sei es in der U-Bahn oder beim Essen mit Freunden oder Familie:

in der Shaanxi Lu

Und sollte euch die Frage auf der Zunge liegen: Ja, das Ikea sieht hier genauso aus wie bei uns. Sie verkaufen sogar genau dieselben Möbel. Es ist auch ähnlich voll wie in Berlin an einem Samstag. Der einzige Unterschied, der mir aufgefallen ist, ist, dass die Leute hier die Möbelausstellung für ganz persönliche Anliegen nutzen: zum Nickerchen Machen, für kurze oder längere Verschnaufpausen, für Kaffeekränzchen und Verabredungen zum Essen - oder einfach nur zum Bummeln! Ikea - gönn dir doch mal eine Pause!

(Die Frage, die ich mir am Tag meines Umzugs stellen musste, den Gestank aus den Rohren des Badezimmers betreffend, kann ich nun, am Wochenende danach, nach umfangreichen Reinigungsarbeiten eines Handwerkers mit Hilfe eines Stahlrohres und noch umfangreicheren Putzarbeiten meinerseits beantworten: Es ist und bleibt so, da mag man Schrubben so viel man will, dass das Abflusssystem in Shanghaier Altbauten stark überlastet ist und der Gestank sich seinen Weg aus der Kanalisation durch die nicht wenigen Abflussrohre im Haus in mein Wohnzimmer bahnt. Vor nur 10 Jahren noch gab es in einem Haus wie meinem nämlich nur eine einzige Toilette für alle Mieter. Die Geruchsbelästigung nehme ich aber gerne in Kauf für eine eigene Toilette! - Es bleibt abzuwarten, ob ich das auch noch sagen werde, wenn die erste Kakerlake sich ein Plätzchen neben mir auf der Couch ergattern will. Bilder folgen hoffentlich nicht so schnell.)

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