Einmal Shanghai und zurück
Mittwoch, 20. August 2014
Back in da Haus!
Hallo ihr Lieben in der Ferne,
wahrscheinlich könnt ihr es euch denken, aber tatsächlich bin ich nach der ausgedehnten Sommerpause wieder im verregneten Shanghai angekommen - zwar nicht so angenehm wie ich dachte, aber immerhin gut genug, als dass ich euch in gewohnter Weise von meinen neuesten Erlebnissen berichten kann. Das Wichtigste nehme ich am besten gleich vorweg: Ich habe seit gestern den Schlüssel zu meiner neuen Wohnung und werde demnächst zwar höchst inoffiziell, dafür aber mit voller körperlicher Präsenz in der French Concession Shanghais wohnen. So sehr ich meine Julu Lu liebe, auf den Gestank und die nicht funktionierende Deckenbeleuchtung kann ich gut verzichten. Hört euch also an, wie ich die Kakerlaken hinter mir gelassen und die geruchsneutralere Wohnung ergattert habe.

Teil I - In Transit

Meinen Flug über Moskau nach Shanghai trat ich ganz ohne die Hilfe von Schlafmitteln an. Ich nehme an, meine Wehmut war der Grund dafür, dass die ersten zwei Stunden wie im Flug vergingen, ganz im Gegensatz zu der fünfstündigen Wartezeit, die ich in Transit in Moskau verbringen sollte. Auf russischem Boden gelandet, schleppte ich mich und mein eigentlich nicht sehr wertvolles Netbook von Terminal D zum in ca. 3 Kilometer Entfernung liegenden Terminal F; immerhin hatte ich daraus gelernt, dass mein Koffer in Berlin erst mit dreitägiger Verspätung eingetroffen war. Dass die Zahl meines Gates nur schwer zu erkennen war, es an den nötigen Anzeigetafeln mangelte und eigentlich noch niemand zu dieser nachtschlafenden Uhrzeit hier eingetroffen war, veranlasste mich dazu, mir ein möglichst gemütliches Schlafplätzchen in der Umgebung zu suchen. Nach einem wenig erquickenden Schläfchen auf dem kalten und harten Flughafenteppich bewegte ich mich sicherheitshalber, die Zeit war mir doch entglitten, zurück zum Gate, dessen Wechsel nun über Lautsprecher angekündigt wurde, und ich setzte mich zwischen die Wartenden auf eine Bank in mittlerer Entfernung. Als mein Nachbar den angrenzenden Sitz freimachte und ein kurzer Abgleich mit der Uhr auf meinem Handy noch immer zwei Stunden bis Abflug anzeigte, nutzte ich die Gelegenheit für ein weiteres Nickerchen. Ich konnte es bei Erwachen kaum fassen, dass es immer noch mehr als eine Stunde bis zum Besteigen der Maschine dauern sollte, wunderte mich dann aber, dass die asiatischen Gesichter um mich herum sich in westliche verwandelt hatten. Ich entschloss, mich sicherheitshalber direkt zum Abflugsgate zu bewegen, um gegebenenfalls dort noch ein wenig Schlaf zu tanken. Doch auch hier sprach nun keiner der Wartenden mehr Chinesisch! Auf der Suche nach einer der sehr spärlich gesäten Anzeigetafeln stellte ich fest, dass mein Flug auf keiner mehr auftauchte. Panik ergriff mich, ich lief auf dem unübersichtlichen Gang auf und ab, fragte jeden asiatisch aussehenden Reisegast, ob er auch nach Shanghai fliegen wolle, und bekam nur belustigtes Grinsen als Reaktion. Was war passiert? Hatte ich die Uhrzeit auf meinem Handy falsch interpretiert? Der nächtliche Schleier lichtete sich langsam – ich hatte meinen Flug verpasst! Nach der aufgeregten Suche nach dem Servicepersonal des Flughafens, das nicht leicht zu finden war, machte ich mich also auf den Weg zum versteckten Cash Desk im entfernten Terminal D, das zwar kaum ein Mitarbeiter des Flugunternehmens kannte, ich aber trotz steigender Verzweiflung nach einer Stunde fand. Dass der nächste Flieger erst in zwölf Stunden gehen und ich das neue Ticket bezahlen sollte, war dann auch gar nicht der Grund für die Tränen, die sich am Schalter plötzlich lösten. So machte ich mich auch ganz schnell auf den Rückweg, als mir die Aeroflot-Mitarbeiterin plötzlich einfach eine neue Bordkarte in die Hand drückte und mich wieder zum Terminal F schickte – anscheinend hatte das Flughafenpersonal doch ein wenig mehr Herz, als es sonst zu zeigen bereit war. Mit dem Ticket in der Tasche war es dann nicht mehr so schlimm, die wirklich lange Zeit am Flughafen ohne Raucherräume, aber mit abgelegenen Toiletten zu überbrücken. Dass mein Gepäck auch wirklich mit mir ankommen würde, daran hatte ich sowieso nicht mehr geglaubt, und ich war schnell versöhnt, als meine Sachen anders als in Berlin gleich am nächsten Tag, wenn auch nicht zur vereinbarten Uhrzeit, bei meinen Nachbarn abgegeben wurden. Der zweite Teil meines Chinaabenteuers konnte beginnen.

Teil II - Auf chinesischer Verhandlungsbasis

Nach der eher ernüchternden Rückkehr machte ich mich schnell auf die Suche nach einer neuen Wohnung. Viel Zeit hatte ich nicht, wollte ich wie vereinbart am Ende des Monats meine Bleibe wechseln. Dieses Mal hatte ich auch gleich drei Maklerinnen zur Hand - Moment, eigentlich zwei, denn aufgrund der Krankheit von Rachels Mutter war sie dazu gezwungen, die Aufgabe an unsere gemeinsame Freundin Andra weiterzureichen, die sich am Samstagmorgen dann mit mir auf die Jagd machte. Wäre da nicht die sehr aufwendige Suche nach den Schlüsseln zu den zu besichtigenden Wohnungen gewesen, die in Brief- und Stromkästen sowie in mehr oder weniger nahe gelegenen Geschäften versteckt sein sollten, es dann aber nicht immer waren, hätten Andra und ich zwar wohl auch keine geeignete Wohnung gefunden, aber wesentlich weniger Zeit dafür gebraucht, dies festzustellen. Auch die Bleiben, die Angela, eine andere Maklerin mir zeigte, hatten alle ihr Manko – zehn Zentimeter breite, aber dreißig Zentimeter hohe Treppenstufen, fingergroße Spalte in den Fenstern oder gar kein Licht. Ausgerechnet die unsympathische Tracy, an die mich mein alter Makler Noel verwiesen hatte, zeigte mir dann eine Wohnung, die zwar nicht als charmant, aber wenigstens als praktisch zu beschreiben und sehr gut gelegen war. Und so nahm ich nun gestern trotz merkwürdiger Verhandlungen und meines schlechten Gewissens den netteren Zeitgenossinnen gegenüber die Schlüssel von ihr in Empfang.
Was ich natürlich nicht wusste, konnte Lena für mich in Erfahrung bringen, die mich zu der Vertragsunterzeichnung begleitete. Vielleicht war es den verhandelnden Parteien nicht ganz klar, dass Lena bilingual ist und perfekt Chinesisch spricht, denn sonst hätten sie wohl kaum so offen über ihre Ansinnen gesprochen. Tracy versuchte zunächst erfolglos, bei der Wohnungsvermittlung ihre Agentur außen vor zu lassen und alleine die Provision zu kassieren. Die Vermieterin andererseits bat Tracy darum, die Wohnung mit mir gemeinsam bei der Polizei zu registrieren, nein, falsch, mich offiziell für eine andere Unterkunft anzumelden als die, in der ich tatsächlich leben sollte, denn diese gehört der Regierung und wird auch von meiner Landlady nur gemietet. So machen wieder einmal alle ihren Gewinn bei dem Expat-Geschäft, aber das soll mir egal sein, solange ich eine neue Bleibe habe und nicht demnächst Bekanntschaft mit der chinesischen Polizei machen muss.

In der Anfu Lu

Sehr froh bin ich trotz allem, es wieder geschafft zu haben, in dem fernen Shanghai anzukommen und ein wenig Fuß zu fassen. Wie der zweite Teil des Abenteuers weitergehen wird, lest ihr am besten in meinem nächsten Blogeintrag. Xiàcìjiàn!

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