Einmal Shanghai und zurück
Samstag, 2. November 2013
Business class trip to Moganshan
Im Himmel(bett) von Wuzhen

Hallo liebe Freunde und Kenner meines Shanghaiblogs,
diese Woche möchte ich euch zu Beginn meines Eintrags in eure eigene Vergangenheit zurückführen. Sicher erinnert ihr euch noch an die eine oder andere Klassenfahrt während eurer Schulzeit. Aber habt ihr damals je einen Ausflug unternommen, auf dem ihr statt in einem Sechsbettzimmer einer billigen Jugendherberge in einem Himmelbett eines Fünf-Sterne-Hotels übernachtet habt? Nein? Habt ihr auch schon in der sechsten Klasse "Wahrheit oder Pflicht" gespielt und, da ihr eure Geheimnisse nicht der halben Schulklasse mitteilen wolltet, alle Mitspieler aus ihrem Froschstadium herausgeküsst? Wieder nein? Wie wäre es dann damit: Erinnert ihr euch statt an Zehn-Gänge-Menüs an exotisches Jugendherbergsessen, bestehend aus bis zur Klebrigkeit weichgekochten Nudeln in Gourmet-Ölsoße, die ihr nach einer 20 km weiten Wanderung hungrig und glücklich verschlangt? Ja? Dann dürftet ihr euch wohl kaum vorstellen können, was ich auf der diesjährigen Fahrt mit den Sechstklässlern erleben sollte.

Hier nun das Reiseprogramm für euch in Kürzestform: Auf dem ersten Stopp unseres Ausflugs, in den nebligen Bambuswäldern von Moganshan, verfielen wir zunächst der Schönheit der chinesischen Natur. Dabei wandelten wir, seit Huangshan völlig unerwartet, auf Waldpfaden und blieben vom chinesischen Touristenbetrieb weitgehend verschont. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie idyllisch ein Urlaub in diesen Bergen gewesen wäre, ganz ohne die 23 lärmenden und sich rangelnden Kinder.

Ausblick aus dem Restaurant des Hotels in Moganshan
Der Ausblick aus dem Restaurant des Drei-Sterne-Hotels

Bei der Wanderung durch die Bambuswälder erwartete mich neben der Notfallbehandlung einzelner Blasen an schlecht bekleideten Füßen und so manch abtrünniger Kinderphantasie auch das für Touristen anschaulich gemachte Dorfleben in China (s. Bilderordner). Im Dorf angekommen, wurden wir von einer Bauernfamilie mit zwölf köstlichen Gerichten herzlich empfangen, durften wir ihre Beete jäten und Klebreisrollen herstellen. Leider konnte sich unser Gastgeber nicht erklären, weshalb von dem Festmahl an jedem Tisch dann umgerechnet nur ein Gericht (und von diesem wiederum die Hälfte von den Lehrern) verzehrt wurde, denn sie waren mit dem Feinschmeckergaumen deutscher Kinder noch nicht vertraut. Auch mit unserer Leistung bei der Herstellung des Klebreises, bei der Reis zu Brei zerkocht und in einem Steinbottich mit einem großen Hammer so lange geschlagen wird, bis er abgekühlt ist, war die Familie nicht ganz zufrieden. Nachdem unser Produkt entsorgt war, übernahmen drei Männer die Arbeit der Kinder, sodass wir am Ende dann doch die leicht salzige, sonst aber geschmacklose Reisspezialität noch probieren konnten. Wenigstens mit unserem Arbeitseifer konnten wir dem chinesischen Gastgeber viel Freude bereiten.

In Schieflage
Auch hier wird es langsam richtig herbstlich

Ein kleiner Exkurs am Rande: Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass das Leben als Vegetarier in China wirklich schwer sein muss. Abgesehen davon, dass Fleisch hier meist billiger ist als Gemüse, oder vielleicht gerade deshalb, findet sich an fast ausnahmslos jedem Tellerpflänzchen auch ein kleines Stückchen Tier. Was für Liebhaber tierischer Produkte ein Traum, wird für den bewussten Esser zur Diätkur. So für meine Kollegin, die von zwölf Gerichten höchstens zwei probieren konnte. Glücklicherweise gehöre ich zur ersten Gruppe und freue ich mich über die vielen Gemüsevariationen, die hier auf den Tisch gezaubert werden!

Reisbauer
Bauer beim Reisrechen auf dem Hof seines Hauses

Aber zurück zur Klassenfahrt. Mit nur einem kleineren, die Reisefirma 100 Euro kostenden Unfall und damit weniger Zwischenfällen als von manchen Schülern antizipiert, denn die Wege von Moganshan sind eher eng für einen großen Reisebus, der sich vor jeder Kurve hupend ankündigen muss, gelangten wir zurück in die touristische Zivilisation. Im Herzen von Wuzhens Weststadt, das ihr schon von meiner Kollegiumsfahrt her kennt, wurde ich das erste Mal Zeuge von der Attraktion europäische Schulklasse: Bei den Workshops, in Restaurants und auf der Straße, immer wieder standen die kleinen Stars im Blitzlichtgewitter, konnten sich mit ihrer Rolle allerdings nicht recht anfreunden. Hier die noch harmlose Variante des chinesischen Voyeurismus':

Chinesische fasziniert von deutschen Touristen
Faszinierte chinesische Touristen, ausnahmsweise ohne Kamera

Gefragt nach dem Highlight der Klassenfahrt, antworteten die Schüler trotz aufwendig organisierter Töpfer-, Batik- und Scherenschnittworkshops einstimmig mit der Halloweenparty. Insgeheim stellte diese die Lehrkräfte, die zwar mit der hessischen Fastnacht aus ihrer Kindheit vertraut sind, Monstermasken und Kunstblut aber nur aus dem Fernsehen kennen, vor besondere Herausforderungen. Nach einer zeitaufwendigen, aber wenig erfolgreichen Suche nach einem roten Lippenstift unter zehn Euro gelang es der einen Lehrkraft immerhin, innerhalb von zehn Minuten ein Ganzkörperkostüm zusammen zu schustern, das die Schülerschaft, deren Verkleidung in liebevoller Handarbeit von so mancher Mutter extra für die Party angefertigt worden war, in ihrer Rezeption spaltete: Manche fragten offen, was denn konkret dargestellt werden solle, andere dagegen sprachen überschwängliche Komplimente aus. Ich bin gespannt, welcher Seite ihr euch wohl zuordnen werdet, und präsentiere euch aufgeregt mein Kostüm:

Halloweenparty
**************** Wer und was bin ich? ****************

Trotz all der fantastischen Orte und Menschen, die wir auf der Klassenfahrt kennenlernen durften, muss ich sagen, schön, wenn auch nicht so exotisch-luxuriös, war es bei uns damals auch! Denn war es in Sechs-Bett- nicht sehr viel lustiger als in Doppelzimmern, in denen selbst die am sorgfältigsten geplante Party wegen eines Klopfens an der Zimmertür aufgedeckt werden kann? Und zum Schluss hätten sich unsere Eltern sicher nicht von den Lehrern mit den Worten, "Der Urlaub sei Ihnen auch gegönnt gewesen!", verabschiedet.

Am Ende möchte ich meinen Blogeintrag nicht mit meinen eigenen, sondern den bescheidenen Worten der perfekt organisierten und sehr geduldigen chinesischen Reiseleiterin Ara, die laut eigener Aussage Kinder eigentlich nicht so mag, beschließen: "I love you all! And I wish you the best for the rest of your lives!"

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Zweisamer Versuch
Vielleicht habt auch ihr mein Kostüm nicht genau identifizieren können? Hier ist der zweite Versuch, den ich mit Hilfe von Ari, einer Freundin aus der Grundschule der DSS, und des Erste-Hilfe-Pakets von der Klassenfahrt unternommen habe:

Ari und ich in Last Minute-Verkleidung

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ganz klar, du stellst ein unfallopfer dar....
oder?

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Fast richtig
Ganz genau wäre die Antwort "Schulopfer" gewesen. Aber so nah dran hast du 99 von 100 Punkten erreicht. Wer hätte auch gewusst, wie geplagt ich im Moment von meinen lieben Kollegen bin? Nicht nur, dass ich während der Klassenfahrt als weniger perfektionistische Kollegin mein Leid hatte, weil ich nicht bis halb 11 nachts mit auf der Treppe saß, um (nicht geplante) Partys zu verhindern, musste ich heute Rede und Antwort stehen, weil ich einer Schülerin eine sechs in Englisch dafür gab, dass man sie einfach nicht verstehen kann. - Der Vorgesetzte hätte sich für eine hieb- und stichfeste Argumentation aber auch erst einmal die Arbeit selbst durchlesen sollen ;-)

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